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Abortion - Eine erbitterte Debatte mit folgenschweren Konsequenzen in den USA (VII) - neue Runde 2021: ‚Heartbeat Act’

Veröffentlicht am 17.10.2023

Bereits ein Jahr zuvor, im September 2021, hatte das texanische Parlament durch die Verabschiedung eines restriktiven Abtreibungsverbotes ‚Roe vs Wade’ herausgefordert. Gemäß dem ‚Heartbeat Act’1 (Herzschlag-Gesetz) sollten nun in Texas Schwangerschaftsabbrüche illegal sein, sobald eine Herztätigkeit des Embryos festzustellen ist, normalerweise um die 6. Woche. Damit war ein unvermeidlicher Gang durch die juristischen Instanzen vorgezeichnet. Einen Eilantrag texanischer Kliniken auf Aussetzung des Gesetzes im Oktober 2021 lehnte der Oberste Gerichtshof ab, obwohl ‚Roe vs Wade’ bundesweit noch Gültigkeit besaß.2

Damit wurde zum ersten Mal seit 1973 ein Abtreibungsverbot in den USA wieder gesetzlich festgeschrieben, allerdings mit einer bedeutsamen Einschränkung. Die einzige Möglichkeit, das Verbot durchzusetzen, sind Klagen von Privatpersonen. Das Recht ermächtigt die Öffentlichkeit gegen Ärzt*innen, Kliniken und jede Person, die in irgendeiner Form an der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs beteiligt ist (wie z.B. ein Taxifahrer, der die Schwangere zum Arzt transportiert), eine Zivilklage einzureichen. Der Kläger hat im Erfolgsfall Anspruch auf $10.000 Schadensersatz, zuzüglich entstandener Gerichts- und Anwaltskosten.3

Innerhalb weniger Tage nach dem Erscheinen einer Kolumne in der Washington Post4 im September 2021, in der sich Alan Braid, Frauenarzt aus San Antonio, Texas, zu einer nun illegalen Abtreibung bekannte, wurde er von einem Anwalt auf Grundlage des Gesetzes verklagt.
Im Dezember 2022 wies ein texanischer Richter diese Klage mit dem Hinweis ab, dass der Kläger durch die Abtreibung keinen persönlichen Schaden davongetragen hätte.5 Dies schwächte zwar die fortgesetzte juristische Durchsetzbarkeit des Herzschlag-Gesetzes ab, veränderte aber nicht seine Auswirkungen.

Viele Kliniken und Ärzte schränkten nun ihre Dienstleistung aus Angst vor juristischen Konsequenzen ein. Am stärksten betroffen sind ökonomisch benachteiligte Frauen und alleinerziehende Schwangere bzw. Mütter. Ihnen wird geraten, sich in angrenzende oder naheliegende Staaten zu begeben, in denen eine Abtreibung legal ist, wie New Mexiko, Kansas oder Colorado. Dies ist nur für Wenige möglich; es fehlt oft am Geld für den Transport, ggf. auch für eine Kinderbetreuung. Ein zusätzlicher Verdienstausfall würde die Situation weiter verschlimmern.6

Die Rechtsprofessorin und Autorin Michele Goodwin7 von der Universität Irvine in Kalifornien sieht im ‚Heartbeat Act’ Ähnlichkeiten zu den Gesetzen hinsichtlich entlaufener Sklaven im 18. Jahrhundert. Der sogenannte ‚Fugitive Slave Act’ „erlaubt es jedem, Schwarze, die frei sein wollten, auszuspionieren, zu verfolgen, und zu fangen…und heute?
In Texas wurde ein Gesetz verabschiedet, das Kopfgelder vorsieht, genau wie der ‚Fugitive Slave Act’. Es schafft Anreize, … Nachbarn auszuspionieren und vor Gericht zu bringen, wie der ‚Fugitive Slave Act’, der es den Kopfgeldjägern leichtmachte.”8

Ganz anders sieht es Ryan Bomberger. Er ist Mitbegründer von ‚Radiance Foundation’, einer religiösen Anti-Abtreibungs-Vereinigung. „In den Staaten, in denen die Republikaner das politische Sagen haben, werden Eltern ermächtigt, sich gegen liberale Werte zu wehren, die ihnen jahrzehntelang untergeschoben wurden. Der ‚Heartbeat Act’ ist ein demokratisch verabschiedetes Gesetz, deshalb können Zivilisten bei einer unrechtmäßigen Tötung (eines Ungeborenen, die Verf.) eine Zivilklage einreichen.” Für Bromberger ist die Debatte um dieses Gesetz eine ganz persönliche Angelegenheit. Nicht nur, weil er sich auf die Präambel der amerikanischen Verfassung beruft. „Die Bewahrung der Freiheiten ist oberstes Gebot ist, sowohl für uns selber wie auch für die Nachgebo-renen. Ich bin das Ergebnis einer Vergewaltigung, und ich danke meiner Mutter dafür, dass sie mir nicht nur mutig das Leben schenkte, sondern auch dafür, dass sie mich zur Adoption freigab……Wir kämpfen gegen eine Justiz, welche im Grunde genommen die kommerzielle Tötung von Ungeborenen legalisierte”.9

 

© Text: Michaela Schneider, Frauen in der Einen Welt

zu den Fortsetzungen: (I) (II) (III) (IV) (V) (VI) (VII) (VIII)

  • Historie
  • Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1973 Roe versus Wade
  • Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2022 (Dobbs versus Jackson)
  • Gesellschaftliche Konsequenzen

  zur Ausstellung "GEBURTSKULTUREN. Gebären und Geboren werden" (link)

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